Rettet das Zerwirk

Im Mai 2024 haben wir uns mit einem Offenen Brief an die Bayerische Staatsregierung gewandt. Unsere Forderung:

  • der Verkauf dieses historischen und für die Münchner Stadtgesellschaft wichtigen Gebäudes muss sofort gestoppt werden!
  • Die Diskussion zur weiteren Nutzung muss transparent und im Sinne der Stadtgesellschaft geführt werden.
  • darüber hinaus muss der Freistaat Bayern seine Bodenpolitik fundamental ändern – der Verkauf zum Höchstpreis muss umgehend gestoppt werden!

Die Reaktionen der Münchner Stadtratsfraktionen zu unserem offenen Brief findest Du hier. TZ, SZ, Münchner Merkur und die Münchner Abendzeitung haben ebenfalls berichtet.

Offener Brief an die Bayerische Staatsregierung

München, 17. Mai 2024

Die Privatisierung von Immobilien des Freistaats Bayern geht ungeniert weiter. Jetzt stellt sich heraus: der Freistaat plant den Verkauf seines nächsten Filetstücks mitten in München!

Eine Antwort auf eine Landtagsanfrage deckt auf: der Freistaat will das historische Zerwirkgewölbe in der Ledererstraße 3, mitten in der Altstadt, verkaufen!

Da das Grundstück nicht mehr zur Erfüllung von Aufgaben des Staates benötigt wird, ist es zu veräußern. Derzeit finden Gespräche mit potentiellen Erwerbern statt. [Eine vom Freistaat durchgeführte; Anm. d. A.] Machbarkeitsstudie hat ergeben, dass das denkmalgeschützte Gebäude in der Ledererstraße 3 nach einer grundlegenden Sanierung sowohl für eine Büronutzung als auch für Nutzungen zu Wohnzwecken, Gewerbe und Kultur grundsätzlich geeignet ist.“ 1

Wir sagen: es reicht! Wir fordern, das Zerwirkgewölbe zu einem Ort für Alle umzugestalten. Gerade im Zentrum der Stadt herrscht akute Raumnot, Orte für Kleingewerbe, die freie Kunst- und Kulturszene oder Jugendliche fehlen. Der Freistaat Bayern muss mit den eigenen Immobilien und Grundstücken gemeinwohlorientiert umgehen, anstatt sie zum Höchstpreis zu privatisieren.

Das denkmalgeschützte Zerwirkgewölbe aus dem späten 13. Jahrhundert gehörte vor Jahrhunderten dem Hofbräu, später beherbergte es eine Metzgerei. Es handelt sich um ein identitätsstiftendes Gebäude für viele Münchner*innen und um einen wichtigen, zentral gelegenen kulturhistorischen Ort. Bis 2019 beherbergte es gastronomische Nutzungen, unter anderem den HipHop-Club Crux und die Spezlwirtschaft. Nach der Beendigung der Pachtverträge 2019 wurde eine Kernsanierung angekündigt, nach der im Zerwirkgewölbe ein „Mini-Hofbräuhaus“ entstehen sollte.

Seitdem ist allerdings nicht viel passiert, das Zerwirkgewölbe, das zweitälteste Gebäude der Stadt, verkommt zusehends. Der Freistaat spielte bereits 2021 mit dem Gedanken, den Großteil der umfangreichen Sanierungen, die nötig sind, von einem möglichen „Vertragspartner“ durchführen zu lassen. Der Freistaat will das stark sanierungsbedürftige Denkmal verkaufen – obwohl für die Mehraufwendungen, die bei der Sanierung durch den Denkmalschutz entstehen, sowieso Öffentliche Stellen aufkommen. Erwarten uns also bald die nächsten Luxuswohnungen oder Bürolofts im Zentrum der Stadt? Die Münchner Altstadt ist die „Gute Stube“ der Stadt und in den letzten Jahren gleichzeitig immer exklusiver und teurer geworden. Umso wichtiger ist es, dass der Freistaat mit seinem Eigentum im Sinne der Allgemeinheit umgeht. Durch das Bayerische Haushaltsgesetz ist der Freistaat – anders als andere Bundesländer – dazu verpflichtet, sein Eigentum immer zum Marktwert oder Höchstgebot zu verkaufen anstatt es vergünstigt z.B. an Genossenschaften oder gemeinnützige Vereine abzugeben. Doch es obliegt dem Landtag und der Staatsregierung, dieses Gesetz dahingehend zu ändern, dass eine gemeinwohlorientierte Nutzung möglich ist.

Eine Privatisierung des Zerwirkgewölbes würde eine der letzten Möglichkeiten nehmen, in der Münchner Altstadt einen inklusiven, bezahlbaren Ort für alle oder bezahlbare Räumlichkeiten für kleinteiliges Gewerbe zu schaffen. Mit einer offenen Nutzung des Zerwirkgewölbes hat der Freistaat die einmalige Chance, seinen Bürger*innen ein Stück ihrer Altstadt zurückgeben, die in den vergangenen Jahren zunehmend zum Spielball renditeorientierter Investmentgesellschaften geworden ist. Bezahlbare und inklusive Orte sind in einer wachsenden und engen Stadt wie München wichtiger denn je.

Deshalb fordern wir:

  • Den unverzüglichen Stopp des Verkaufs des Zerwirkgewölbes durch den Freistaat Bayern und eine transparente Diskussion um eine Nachnutzung des Gebäudes.
  • Eine gemeinwohlorientierte Verwendung des Zerwirkgewölbes für soziale Zwecke und/oder als bezahlbare Flächen für gewerbliche und/oder (sub-)kulturelle Nutzungen, die es am Münchner Mietmarkt besonders schwer haben.

Darüber hinaus fordern wir:  

  • Einen sozial verträglichen Umgang mit den im Eigentum des Freistaats Bayern und der ihm angegliederten Gesellschaften, Institutionen und Unternehmen verbliebenen Grundstücke und Immobilien. Der Verkauf nach Höchstgebot oder die Vermietung nach Höchstpreis sind einzustellen. Stattdessen sind zukünftig soziale Aspekte, wie die Bereitstellung bezahlbaren Wohnraums, bezahlbarer Gewerbeflächen oder sozial inklusiver Orte als oberste Kriterien bei der Vergabe zu berücksichtigen. Genossenschaften und gemeinnützige Stiftungen und Kommunen sind bei der Vergabe zu berücksichtigen.
  • Die Änderung des Art. 63 BayHO: „(3) Vermögensgegenstände dürfen nur zu ihrem vollen Wert veräußert werden.“ und die (Wieder-)Einführung einer Verbilligungsrichtlinie, wie sie in anderen Bundesländern bereits geschehen ist,2 um vergünstigten Verkauf oder Vergabe zu ermöglichen, wenn im Gegenzug soziale Mehrwerte, wie die oben genannten Kriterien, vertraglich vereinbart werden.
  • Sollte eine Änderung der Bayerischen Verfassung (Art. 81 – Grundstockvermögen) nötig werden, fordern wir die Staatsregierung auf, die nötigen Schritte im Landtag einzuleiten und in eine Debatte mit den Oppositionsparteien einzusteigen, um die nötigen Mehrheiten für eine etwaige Verfassungsänderung zu sichern.

Wir befinden uns aktuell in der schlimmsten Wohnraumkrise seit Jahrzehnten, schon jetzt sind die Kaltmieten fast nirgends in Deutschland höher als in Bayern. Die 30 deutschen Städte mit den höchsten Mieten befinden sich mit Ausnahme von Sylt alle in Bayern. Es ist wichtiger denn je, dass nach dem massenhaften Ausverkauf von staatlichen Immobilien endlich ein Umdenken einsetzt. Der Freistaat Bayern muss auf dem Immobilienmarkt als Vorbild auftreten und nicht selbst gewinnmaximierend denken und die Preisspirale befeuern. Deshalb fordern wir die Staatsregierung auf, umgehend zu handeln und Schlimmeres zu verhindern. Retten Sie das Zerwirkgewölbe – und alles, was noch zu retten ist! Die Bevölkerung wird es Ihnen danken!

Unterzeichner*innen

AK Junges Forum des Münchner Forum

AK Wer beherrscht die Stadt dem Münchner Forum

#ausspekuliert

abbrechenabbrechen

Bündnis Freiräumen

common ground

AK Wohnen

Munich Graffiti Library

Munich Art Gallery

Mieterverein München e.V

Kreisjugendrind München Stadt e.V

WUT Kollektiv

Tiny Pop Up Pullach

Denkmalnetz Bayern

Wenn Ihr den offenen Brief unterstützen wollt, meldet euch bei junges-forum [a] muenchner-forum.de


Quellen

1 Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr (2024): Anfragen zum Plenum. Zum im Sitzungsplan vorgesehenen Plenum vom 14.05.2024. Anfrage zum Plenum des Abgeordneten Christian Hierneis (GRÜNE).

2 Land Baden-Würrtemberg (2019): Gemeinsames Amtsblatt des Landes Baden-Württemberg (GABI), Nr. 12. Quelle: https://www.landesrecht-bw.de/jportal/portal/t/66u/page/bsbawueprod.psml?doc.hl=1&doc.id=VB-BW-GABl2019452&documentnumber=3&numberofresults=1349&doctyp=Verkuendungsblatt%3Abw-gabl&showdoccase=1&doc.part=D&paramfromHL=true#focuspoint. Abruf: 17.09.2023; Ministerium für Finanzen Baden-Württemberg (2023): Das Ministerium als Bauherr. Quelle: https://fm.baden-wuerttemberg.de/de/bauen-beteiligungen/bau-und-immobilien/staatliche-vermoegens-und-hochbauverwaltung. Abruf: 17.09.2023.